Einstein, Michael & Christin, 03.06.2018
Einstein
Mitten in der Nacht, im November. Ein bisschen mulmig war mir und den anderen da schon, in dem großen rollenden Kasten mit den abgeklebten Fenstern.
Auf einem Autobahn-Rastplatz bei Passau angekommen, stehe ich nun zwei Menschen gegenüber. Die Situation ist anders als letztes Jahr. Damals haben mich meine Menschen an solch einem Autobahnrastplatz zurückgelassen. Diese beiden aber wollen mich mitnehmen, bei ihnen soll ich nun wohnen.
Ich zittere. Es war ein langer Tag und kalt ist es in Deutschland auch. Außerdem weiß ich nicht was ich von der ganzen Situation halten solle. Man muss unbedingt einen guten Eindruck machen, haben mir die Jungs im Tierheim in Kroatien erzählt. Sonst wird man nämlich nicht adoptiert. Naja, guter Eindruck. Zu dem Zweck habe ich mir vor der großen Fahrt noch Parfüm ins Fell gerieben. Am Zaun, dort wo die gut riechenden Tonnen stehen, da gab es eine besonders aromatische Stelle. Kurzer Hand habe ich mich auf den Rücken gelegt und mich ausgiebig hin und her gerollt. Immerhin soll das Parfüm bis zu unserer ersten Begegnung halten.
Ich recke prüfend meine Nase in die Luft, ob mein Parfüm auch noch intensiv genug ist. Ja, zum Glück! Es duftet herrlich. Mit vorsichtigen Bewegungen setze ich eine Pfote nach der Anderen auf den Boden und gehe auf die Frau zu. Sie ist kleiner als der Mann und schaut mich freundlich an. Sie hockt sich hin, breitet die Arme aus und wartet. Unsicher laufe ich weiter. Bei ihr angekommen, krault sie mein Fell. Das tut gut. Ich schließe kurz die Augen und drücke mich näher an sie.
Ein paar Minuten später sitzen wir im Auto und fahren. Also wieder unterwegs. Die Menschen haben trotz der Kälte beide Fenster geöffnet. Das finde ich sehr nett von ihnen, so kann ich genüsslich die verschiedenen Düfte von draußen in mich aufsaugen, lerne meine neue Heimat kennen. Die Beiden versuchen auch so viel wie möglich von der Luft von draußen einzuatmen.
Das Ganze ist nun sechs Jahre her. Ich bin immer noch viel unterwegs. In einem großen, sehr großen rollenden Kasten. So riesig, dass ich von ganz vorne über den Sitz klettere, vorbei an dem ganzen Essen auf das Sofa hopse und dann im Bett lande. Herrlich. Das teile ich mir mit meinen Menschen. Am liebsten schlafe ich in der Mitte und kuschle mich zwischen die beiden, da fühle ich mich geborgen und beschützt.
Am Morgen macht es mir unheimlich viel Spass, mich mit meinem Kopf über ihren zu stellen und so lange zu warten, bis sie die Augen aufschlagen. Dann lecke ich ihnen über das Gesicht. Ein Kussl am Morgen muss schließlich sein. Ich freue mich halt und muss das teilen. Meine beiden Menschen stöhnen jedes Mal auf. Das macht mich sehr glücklich und ich rolle mich zufrieden zusammen.
Unser großer, rollender Kasten hat übrigens Fenster. Ganz viele sogar. Da habe ich eine ganz gute Sicht auf alles da draußen und kann gut auf uns aufpassen. Wir sind immer woanders. Mal sehe ich grüne Bäume oder Äcker, die wunderbar duften, Berge mit weißen Mützen oder wir sind am Strand, wo es immer so verführerisch nach Fisch riecht. In Norwegen zum Beispiel. Dort lag mal eine tote Robbe. Ich hätte mich so gerne hinein gelegt, aber meine Menschen wedelten hektisch mit ihren Armen und haben was von einer Dusche erzählt. Brrrrrr. Danach stinke ich immer.
Abgesehen davon bin ich mit den beiden gern unterwegs. Jeder Halt bedeutet ein Abenteuer. Ich kann nach Mäusen buddeln, durch Sträucher robben, Wellen anbellen, in der Sonne liegen und und und... Das müsst ihr auch mal ausprobieren. Vielleicht sehen wir uns unterwegs, würde mich freuen. Fragt einfach nach Einstein und dann stelle ich euch mein Rudel vor.
Michael
Samstagnachmittag: Nach einem ausgedehnten Spaziergang mit Einstein biege ich in unsere Straße ein. Vor unserer Garage steht ein aufgebockter Sprinter. Ihm fehlen zwei Reifen und auf dem Boden ist allerhand Werkzeug verstreut. Einstein rennt freudig darauf zu und umkreist sein Wohnmobil. Michael kann ich nirgends entdecken. Unschlüssig bleibt Einstein auf halbem Weg zwischen mir und dem Sprinter stehen. Ich öffne das Gartentor und rufe ihm dabei zu. „Michael ist bestimmt im Keller. Komm. Wir schauen mal nach.“ Das lässt er sich nicht zweimal sagen und quetscht sich zwischen mir und dem Tor hindurch. Ich sehe nur noch eine Schwanzspitze in der Eingangstür verschwinden. Vor der Kellertreppe treffe ich auf einen nervös, tänzelnden Einstein. Ungeduldig wirft er mir einen Blick über die Schulter zu und stupst gegen die Tür. Grinsend öffne ich die Kellertür. Für Einstein gibt es nun kein Halten mehr, freudig bellend stürmt er an Michaels Seite und fordert seine gesamte Aufmerksamkeit. Michael legt seinen Bleistift und den Schreinerwinkel auf die Werkbank, dann folgt das übliche Begrüßungsritual. "Hey Einstein", ertönt es fröhlich "Hattest du einen schönen Tag?" Michael versucht nach Einstein zu greifen. Dieser entzieht sich ihm mit leicht geöffneter Schnauze und gespitzten Ohren. "Hey Einstein, komm her!" ruft Michael noch energischer und klopft sich dabei auf seine Oberschenkel. Einstein quittiert das mit einem lauten Gejaule und tänzelt um Michael herum. Bis dieser ihn endlich schnappt, ihn auf den Rücken dreht und ihm den Bauch grault.
Ich sehe mich genauer in der Werkstatt um. Hier hat alles seinen Platz. Ein großes Regal mit verschiedenen Kisten und Kartons, gefüllt mit Ersatzteilen für den Sprinter oder Alfred. Dann kleinere Kästelchen mit Schrauben, Kabeln und diversen Steckern. Auf anderen Kisten erkenne ich Abbildungen von einer Säge oder einem Akkuschrauber. Auf der Werkbank liegt, neben einer Holzplatte, die Handkreissäge.
An der Wand hängen Holzplatten mit Zangen groß und klein, Schraubendrehern kurz und lang, verschiedene Hämmer und unendlich viele Werkzeuge deren Namen ich garnicht kenne.
Das erstaunt mich immer wieder, da Michael so einen pedantischen Ordnungssinn im Alltag vermissen lässt. So landet die verschmutzte Kleidung schonmal neben dem Bett oder auf der Kommode, jedoch immer mit dem größtmöglichen Abstand zum Wäschebuff. Auch wird Michael von seiner praktischen Veranlagung, Dinge geordnet zu verstauen, in dem Moment im Stich gelassen, wenn er mit dem Frühstück fertig ist und das Geschirr einfach nur in die Spülmaschine gestellt werden sollte. Aber wenn ich in die glücklichen Augen meines Mannes schaue, dann ist alles vergessen.
So wie jetzt. Er sieht sehr zufrieden mit sich und der Welt aus, wie er so vor mir steht. Mit seinem alten, ausgeblichenen Ramones-T-Shirt, der ausrangierten Wanderhose mit all ihren Flecken, das braune Haar zerzaust und mit einer feinen Schicht Holzstaub überzogen. Die Brille staubig und verschmiert, ein Wunder, dass er uns überhaupt erkannt hat. Im Gesicht und an den Armen hat er dunkle Streifen, sieht aus wie eine Kriegsbemalung. Ich tippe eher auf Motoröl. Zu den ganzen Holzspänen, Staub, Fett und Lackresten auf seinem T-Shirt gesellen sich nun auch noch braune Hundehaare, Einstein hat sich mittlerweile in Michaels Arme gekuschelt. Er schaut genauso glücklich drein. Ich trete auf Michael einen Schritt zu und küsse ihn zärtlich auf den Mund, die einzige halbwegs saubere Stelle in seinem Gesicht. Ich rümpfe dabei ein bisschen die Nase, ein stechender Geruch geht von ihm aus. Getriebeöl?
Michael hat, genauso wie sein Hund, eine merkwürdige Vorliebe für spezielle Düfte.
Christin
Samstag, 7:45 Uhr:
Ein lautes schrillendes Geräusch dröhnt mir in meinen Ohren. Mit geschlossenen Augen taste ich rechts neben mir nach den Wecker. Nur noch ein paar Minuten dösen. Neben mir regt sich etwas. Ein kleiner, behaarter Körper schiebt sich unter meine Decke und rollt sich darunter zusammen. Ich muss grinsen. Für Einstein ist es auch noch viel zu früh. So langsam öffne ich meine Augen und setze mich auf. Das wird mit einem lauten Grunzen quittiert. Ich hebe meine Decke und schaue in die verschlafenen Augen Einsteins. Er zieht skeptisch die Augenbrauen zusammen und gähnt herzhaft. Nachdem nichts weiter passiert, steckt er seinen Kopf unter die Pfoten und schläft einfach weiter.
Christins Seite des Bettes ist wie immer leer.
Ich schäle mich aus dem Knäul an Decken und betrete den Flur. Aus der Küche höre ich ein leises "Klack, Klack, Klack".
Ich öffne die Küchentür, Christin sitzt am Küchentisch vor ihrer Schreibmaschine, eine Gabriele 100 von Adler, aus den 80er Jahren. Mit ihr schreibt sie am liebsten.
"Guten Morgen Schatz!" schallt es mir fröhlich entgegen. Ungerührt drücke ich ihr meine Lippen auf die Stirn. Dann gehe ich erstmal zur Kaffeemaschine.
Als ich mich mit meinem dampfenden Kaffeebecher zu ihr an den Küchentisch setze, fängt sie an zu quasseln. Innerhalb kürzester Zeit erhalte ich alle wichtigen, weniger wichtigen und sicher auch eher unwichtigen Informationen des Tages. Vermutlich hat sie einen Vorsprung von mindestens zwei Stunden. Ich schweife langsam ab und schaue ihren kleinen, zarten Fingern zu wie sie über die Tastatur fliegen, sehe ihren schmalen Lippen zu wie sie sich bewegen und betrachte ihre kleine, im schummrigen Licht glänzende Stupsnase. Dann bleibt mein Blick an ihren blauen Augen hängen. Diese wiederum blitzen grimmig unter ihrem dunklen Haar hervor.
"Du hörst mir schon wieder nicht zu!“, neckt sie mich mit ihrer gespielten Entrüstung. “Kann ich erstmal munter werden?", brumme ich verschlafen zurück. „Ja und dann weißt du wieder von nix. Wir müssen noch Klamotten packen. Und wir müssen mit Einstein raus. Ausserdem wollten wir vorher noch einkaufen. Die Hausordnung ist diese Woche auch noch fällig.“ Den Rest höre ich schon gar nicht mehr, da ich mich spontan für eine heisse und entspannende Dusche entschieden habe.
Als ich wieder die Küche betrete, sitzt ein recht ausgeschlafener Einstein in der Mitte des Raumes. Mit Argusaugen und gespitzten Ohren folgt er Christins Bewegungen. Sein Blick fällt dabei immer wieder auf die gefüllte Schüssel auf der Arbeitsplatte. Unbewusst leckt er sich mit der Zunge über die Schnauze. “Stell doch die Schüssel einfach auf den Boden. Ich komm schon klar“, drängt sein bohrender Blick. Aber er muss noch warten.
Auf dem Herd steht ein kleiner Topf, in welchem die Frühstückseier blubbernd kochen. Der Küchentisch ist bereits gedeckt. Aus der weißen Porzellan-Kanne dampft der frisch aufgegossene Tee, welchen wir im letzten Urlaub aus England mitgebracht haben. "Kaffee oder Tee?“, fragt sie mich in ihrer ansteckenden guten Laune. Sie dreht sich mit einem breiten grinsen im Gesicht zu mir um. „Bist du jetzt endlich gesellschaftsfähig?“ Rein zufällig fällt ihr dabei ein kleines Stückchen Kochschinken runter. Einstein stürmt auf sie zu und verschlingt seine Beute gierig.
Jetzt, 14 Stunden später, ist Christins Energie verschwunden. Sie liegt neben mir auf dem Sofa. Ich spüre ihre Wärme an meiner Seite. In ihren kleinen Ohren stecken Kopfhörer, sie will mich beim Video-Schneiden nicht stören. Sie bekommt noch einen Kuss auf die Stirn, dann schläft sie langsam ein.
Das ist unser Oberaigner Sprinter 4x4. Warum überhaupt einen Sprinter 4x4 als Basis für den Selbstausbau eines Wohnmobils und warum ist das ein Oberaigner? weiterlesen
Dirk von LEBENIMWOMO (Mittwoch, 13 Juni 2018 14:21)
Schön euch Drei auf diesem Wege etwas besser gelernt zu haben und viele Grüße an Einstein, dem "alten Stinker" ;-)
Viele Grüße von Unterwegs,
Dirk